Türkisch

 

  1. Herkunft und Geschichte
  2.  

    Türkisch gehört zu der Familie der Turk- oder Türksprachen, die heute noch vornehmlich in Zentralasien gesprochen werden.

    Die Türksprachen werden zusammen mit den mongolischen und den mandju-tungusischen Sprachen zur altaischen Sprachfamilie zusammengefaßt. Auffallende strukturelle Übereinstimmungen liegen auch mit Japanisch, Koreanisch und den finno-ugrischen Sprachen (Finnisch, Ungarisch, Estnisch, Samisch usw.) vor, wobei der Beweis einer Verwandschaft mit dem Türkischen nicht zuletzt aufgrund fehlender literarischer Quellen bislang aussteht.

     

    Die Vorfahren der heutigen (Türkei-)Türken, die sogenannten Alt-Türken, waren nomadische Steppenvölker Zentralasiens und bevölkerten in etwa das Gebiet der heutigen Mongolei und des Altai-Gebirges. Nach Abebben der Hunnenzüge und Verfall des Reiches Attilas im 5. Jhd. n. Chr. kam es zum Ausschwärmen einzelner alttürkischer Eroberergruppen, so daß nach und nach das Siedlungsgebiet im Osten bis an den Pazifik, im Norden bis ans Eismeer und im Westen bis nach Europa ausgeweitet wurde und sich im Laufe der Zeit die einzelnen Türkvölker herausbildeten.

     

    Die älteste schriftliche Überlieferung einer Türksprache sind die Orchon-Inschriften der Altaier, die zwischen 732 und 735 n. Chr. in einer runischen und auf dem syro-aramäischen Alphabet fußenden Schrift verfaßt wurden.

     

    Die Entwicklung des vornehmlich in der heutigen Türkei gesprochenen Türkischen beginnt mit der Abspaltung des Uigurischen und des Dialektes der Oghusen (Oghusisch) aus dem Alt-Zentralasiatisch-Türkischen.

    Aus den Oghusen ging dann der Stamm der Seldschuken hervor, die nach der Eroberung des Iran (ca. 1000 n. Chr.) weiter gen Westen wanderten und Kleinasien bzw. Anatolien erreichten. Hier gründeten die Nachkommen der Seldschuken im 11. Jhd. unter Osman I. das nach ihm benannte Osmanische Reich und übernahmen nach der Einnahme Konstantinopels durch Sultan Fatih dem Eroberer im Jahre 1453 das Weströmische Reich.

     

    Durch den starken kulturellen Einfluß der Araber und Perser wurden die Türken islamisiert und übernahmen fortan sehr viele Wörter sowohl in die verschiedenen Fachsprachen (Jura, Medizin usw.) als auch in die Umgangssprache, so daß heute noch für viele ursprünglich türkische Begriffe arabische und persische Synonyme existieren, die teils nur in der Hochsprache, teils gleichberechtigt oder gar bevorzugt in der Umgangssprache gebraucht werden.

     

     

    Türkisch wurde bis in die 20er Jahre mit dem arabischen Alphabet geschrieben. Erst durch Atatürks Schriftreform nahm man nach Einfügung einiger Sonderzeichen das lateinische Alphabet an – eine vernünftige Entscheidung, da die vokalreiche türkische Sprache nur umständlich durch das arabische Alphabet wiedergegeben werden konnte.

    Dadurch, daß dem Türkischen ein Alphabet angepaßt wurde und diese Maßnahme keine 80 Jahre zurückliegt, ist die Lesung des Türkischen recht einfach. In der Regel ist das Phonem-Graphem-Verhältnis konstant, d. h. ein Buchstabe gibt immer nur einen Lauwert wieder.

     

    Türkisch ist heute die bedeutendste Türksprache. Sie stellt mit einigen wenigen anderen Sprachen (z. B. Gagavusisch in Bulgarien und Rumänien) den südwestlichsten Ausläufer dieser Sprachfamilie dar. Die Sprecherzahl beläuft sich derzeit auf ungefähr 60 Mio Menschen mit Tendenz nach oben. Das heißt, daß etwa die Hälfte aller Sprecher einer Türksprache Türkisch zur Muttersprache haben.

     

    Eine große Besonderheit der Türksprachen ist ihre fast dialektale Ähnlichkeit untereinander. Ein Türke kann sich zum Beispiel ohne weiteres mit einem Aserbaidschaner oder Turkmenen verständigen – ein Small-Talk ist aber auch mühelos mit einem Kasachen, Tataren, Kirgisen, Usbeken usw. möglich. Eine Ausnahme bildet das Tschuwaschische – eine südwestlich des Ural gesprochene Türksprache. Diese ist im Laufe der Jahrhunderte durch umliegende nicht-türkische Sprachen lexikalisch so verändert worden, daß man auf non-verbale Kommunikation zurückgreifen muß.

     

     

  3. Sprachaufbau und Grammatik

 

Natürlich kann es hier nicht Ziel sein, eine auf welche Art auch immer komplette Zusammenfassung der türkischen Grammatik zu liefern.

Vielmehr soll der Leser nach der Lektüre sich eine Vorstellung von der Funktionsweise des Türkischen und somit aller anderen Türksprachen machen können.

 

Daher seien für den muttersprachlichen Indogermanen einige hervorstechende Abweichungen von seinem Sprachkonzept, die ihm im Türkischen begegnen könnten, hier einmal kurz dargestellt.

 

  1. Agglutinierende Sprache
  2.  

    Türkisch arbeitet liebend gern mit Endungen – und das bis zum Exzeß. Dabei können durchaus mehrere Endungen aneinandergereiht werden, die Mammutwörter entstehen lassen, die wie verklumpt aussehen (eben agglutiniert!). Auf Präpositionen verzichtet es gänzlich; denn auch hier gibt es Suffixe und in einigen Fällen auch Postpositionen.

     

  3. Keine Genera
  4.  

    Die Substantive haben im Türkischen keinen Genus – d. h. sie sind neutral. Wenn man dennoch eine Geschlechtszugehörigkeit deutlich machen will, macht man z. B. aus der "Freundin" wie im Englischen einen "Mädchen-Freund" (girl-friend).

     

  5. Regelmäßige Grammatik
  6.  

    Auf diesem Gebiet wird Türkisch eigentlich nur noch durch Esperanto übertroffen. Es gibt in der gesamten Grammatik kaum eine Ausnahme – von der Deklination angefangen bis über sämtliche Paradigmen der Konjugation. D. h., beherrscht man einmal die Regeln, wonach Türkisch funktioniert, kann man fast nichts mehr falsch machen.

     

  7. Weitestgehender Verzicht auf Personal- und Possesivpronomina
  8.  

    Bei den Personalpronomina verhält es sich ähnlich wie Lateinisch oder andere romanische Sprachen. Da die Person hinreichend in der Verbalendung bestimmt ist, benutzt man Personalpronomina nur zur Betonung oder Kontrastierung. Auch Possesivpronomina werden in der Regel durch Possesivsuffixe wiedergegeben.

     

  9. Vokalharmonie
  10.  

    Die Vokalharmonie ist ein Phänomen, das uns auch in anderen Sprachen begegnet (z. B. Finnisch, Ungarisch, Estnisch, Mongolisch usw.). Unter anderem besagt sie, daß z. B. ein/die Vokal(e) einer Endung sich nach dem vorangehenden Vokal des Wortes, das diese Endung bekommt, richtet.

     

    Hierzu ein kleines Beispiel:

     

    Die Infinitivendung im Türkischen ist –mak oder –mek. Welche Endung wann gebraucht wird, entscheidet sich nach dem Verbstamm, an den die Endung tritt.

    So heißt "bleiben" kalmak, "finden" bulmak, "rupfen" yolmak, aber "kommen" gelmek, "lachen" gülmek und "wissen" bilmek. Aus diesem Beispiel kann man schon ableiten, daß ein vorangehendes –a-, -u- oder -o- im Verbstamm die Endung –mak verlangt, während nach –e-, -ü- und –i- im Verbstamm die Infinitivendung –mek lauten muß.

     

    Bei der Vokalharmonie werden Vokale, die phonetische Ähnlichkeit haben, im Wortverband zusammengeführt und gegenüber "phonetisch fremden" abgegrenzt (z. B. vordere Vokale vs. hintere Vokale).

    Sinn der Vokalharmonie ist aber – wie man vielleicht irrtümlicherweise meinen könnte – nicht der Wohlklang, sondern eine phonetische Strukturierung des Satzes, um semantische und sinngebende Einheiten zu kennzeichnen und somit als Verständniserleichterung zu dienen.

     

  11. Das Verb olmak – "sein"
  12.  

    Ein Verb für "sein" gibt es auch im Türkischen. Im Infinitiv heißt es olmak. Konjugiert man es aber, so verliert es seine Eigenständigkeit als Wort und wird zur Endung, die mit dem ursprünglichen Infinitiv nichts gemein hat.

     

    Zur Veranschaulichung einige Beispiele:

     

    "müde" - yorgun

    "ich bin müde" - yorgunum

    "du bist müde" - yorgunsun

    "wir sind müde" - yorgunuz

    "ich war müde" - yorgundum

    "du warst müde" - yorgundun

    "wir waren müde" - yorgunduk

     

    "Arzt" - doktor

    "ich bin Arzt" - doktorum

    "du bist Arzt" - doktorsun usw.

     

    Es ist durchaus möglich, das Verb olmak eigenständig zu konjugieren. Doch dann bedeutet es "werden" – z. B. doktor oluyorum – "ich werde Arzt".

     

  13. Verneinung mit Infix
  14.  

    Das Negationswort "nicht" wird im Türkischen in der Regel durch ein Infix wiedergegeben. So heißt "ich sehe" görüyorum, aber "ich sehe nicht" görmüyorum. Die Negation wird in diesem Beispiel durch das Infix –m- bewirkt.

     

  15. Das Verb "können"
  16.  

    Das Verb "können" existiert im Türkischen nicht als eigenständiges Wort. Um "können" auszudrücken, nimmt man einen Verbstamm, den man nach den Gesetzen der Vokalharmonie mit einem bestimmten Vokal erweitert, und hängt das Verb für "wissen" bilmek an.

     

    Beispiel:

     

    "lachen" - gülmek

    "lachen können" - gülebilmek*

    "ich lache" - gülüyorum

    "ich kann lachen" - gülebiliyorum

     

    *Im Deutschen könnte man auch mit "zu lachen wissen" übersetzen, wobei diese Übersetzungsmöglichkeit eine Fähigkeit impliziert, wobei im Türkischen je nach Kontext sowohl die Fähigkeit als auch die Möglichkeit zu lachen gemeint ist.

     

    All das, was aber in den vorangehenden Zeilen vorgestellt wurde, gilt – wie sollte es auch anders sein – nicht für die Negation des Verbs "können".

     

    Entsprechend dem obigen Beispiel heißt es dann nämlich:

     

    "nicht lachen" - gülmemek

    "nicht lachen können" - gülememek

    "ich lache nicht" - gülmüyorum

    "ich kann nicht lachen" - gülemiyorum

     

  17. Die Kasus

 

Das Türkische hat 8 Kasus, wobei manche Turkologen den Abessiv nicht als Kasus sehen.

 

Hier sei einmal die Deklination des Wortes göz – "Auge" aufgezeigt:

 

Nominativ göz "das Auge"

Genitiv gözün "des Auges"

Terminativ/Dativ göze "ins/zum/dem Auge"

Akkusativ gözü "das Auge"

Lokativ gözde "im Auge"

Ablativ gözden "aus dem/vom Auge"

Komitativ gözlü "mit Auge(n)"*

Abessiv gözsüz "ohne Auge"

 

*Der Komitativ wird nicht instrumental gebraucht, sondern beschreibt lediglich das Vorhandensein einer Sache.

In Anlehnung an unser Beispiel heißt das:

Für den Ausdruck "ein Lebewesen mit einem Auge" gebraucht man den Komitativ, nicht aber für "er sieht mit einem Auge".

 

Abschließend eine Auflistung der Bevölkerungs- und Sprecherzahlen der meisten Türkvölker.

 

Zentralasiatische Türkvölker

 

  1. Der mittlere Gürtel

 

1939 1989/90

 

Turkmenen 812.000 2.730.000

Usbeken 4.845.000 16.700.000

Kirgisen 885.000 2.530.000

Kasachen 3.101.000 8.136.000

Karakalpaken 186.000 426.000

(Neu-) Uiguren 55.400 263.000

Uiguren (China) keine Zahlen 5.957.000 (1982)

 

insgesamt 9.884.400 36.742.000

 

 

II. Südsibirien

 

Altaier (1917 – 1948: Oiroten) 48.000 71.000

Schoren 16.300 16.652*

Chakassen 59.800 80.000

Tuwiner 62.000 207.000

Tofaler 400 731

 

insgesamt 186.500 375.383

 

*nur noch 9.446 Sprecher

 

 

III. Sonstige

 

Fu-yü-Kirgisen 1.451

Jugur (Nachfahren der alttürkischen Uiguren) 12.000

Salaren 87.000

 

Insgesamt 100.451

 

 

 

 

Türkvölker außerhalb Zentralasiens

 

I. Größere Türkvölker

 

Türken Türkei: 45.000.000

Zypern: 160.000

Balkan: 1.380.000

Irak, Jordanien, Syrien: 350.000

Westeuropa: > 2.000.000

__________

~ 48.890.000

Aserbaidschaner 2.276.000 6.770.000

Tataren 4.314.000 6.650.000

Tschuwaschen 1.370.000 1.800.000

Baschkiren 844.000 1.450.000

Jakuten 242.000 382.000

 

Insgesamt 9.046.000 65.942.000

(ohne Türken)

 

 

II. Kleinere Türkvölker

 

a) im Kaukasus

 

Nogaier 36.000

Kumyken 95.000

Karatschaier 75.800

Balkaren 42.700

 

b) in Nordsibirien

 

Dolganen 2.000

 

c) auf der Krim

 

Krymtschak (Krim-Juden) 6.400

Karaimen (Krim und Litauen) 8.500

 

insgesamt 266.400